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L'Illustré 14/08

Révérien Rurangwa hat genug gewartet

Sehr geehrte Frau Bundesrätin

Sie und ich wir wurden beide im selben Jahr geboren:Mitten im kalten Krieg, als die Schweiz Tausende von Ungaren mit offenen Armen empfing, die vor der blutigen Sowjetrepression flüchteten. Damals waren die Grenzen noch offen für die Opfer.
52 Jahre später haben sich die Zeiten geändert: Révérien Rurangwa überlebte – man kann sagen: auf wundersame Weise – den Genozid in Ruanda und wartet immer noch auf das Recht, sich definitiv und bedingungslos bei uns niederlassen zu dürfen. Sein markerschütterndes Schicksal ist bekannt. Er möchte unter keinen Umständen den Folterern in seinem Land wieder begegnen.

 Aber das Bundesamt für Migration (BFM), das Ihnen unterstellt ist, verschanzt sich hinter einem Wall von Gesetzen und Richtlinien und tötet Révérien auf diese Weise ein zweites Mal, indem ihm das Recht, in der Schweiz zu leben, versagt wird. Nach den Macheten ein massiver Keulenschlag der Administration. Aber wie geschmacklos: Révérien will weiterleben und darüber hinaus fordert er auch noch etwas: Nämlich das Recht, hierbleiben zu können.
Am gleichen Tag, als eine Solidaritätskundgebung für Révérien Freunde, Behördenmitglieder und Sympathisanten auf der Vue des Alpes vereinigte, stellte das BFM seine Jahresbilanz vor. Das BFM ist stolz auf seine Bilanz, weitgehend zufrieden. Aber diese Bilanz hat den schalen Beigeschmack von Faschismus des 20. Jahrhunderts. Das BFM kennt keine Milde, ist fern von gesundem Menschenverstand und baut auf die Angst vor dem Fremden.
Frau Bundesrätin, muss man Züge anhalten und Tunnels blockieren, bis Sie die Menschen anhören, die Révérien unterstützen? Muss er unter die Falschspieler gehen, Banker oder Fussballer werden, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten?
Spass beiseite, Frau Bundesrätin: Jedes Gesetz ist interpretierbar. Der Fall von Révérien ist nicht präjudizierend, er schafft keinen Präzedenzfall: Es gibt nicht vieleMenschen, die in einem Massengrab dem Tod entronnen sind und nun darauf warten, unser Land zu überfluten, indem sie sich auf Révériens Fall berufen.
Worauf warten Sie, um Révérien eine Aufenthaltsbewilligung auszustellen so, wie es der Kanton Neuenburg offiziell beantragt hat? Gewiss, in den Augen mancher Rassisten ist Révérien nichts. Er hat einen Namen, der unmöglich auszusprechen ist, das schafft Unbehagen. Révérien ist abgemagert? Soll er doch abkratzen, man findet bestimmt eine kleine Ecke für ihn auf dem Friedhof. Dannzumal wird er still sein. Dieser Mann hat ja einen grossen Nachteil: Seine Folterer haben ihm bloss eine Hand abgeschnitten, nicht die Zunge. Und die benutzt er, um Gerechtigkeit zu verlangen.
Frau Bundesrätin: Die Gerechtigkeit in diesem Land sind Sie.